I. Der Sachverhalt
Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde am 1.6.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter ließ der zuständigen Agentur für Arbeit am 26.6.2017 die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich zukommen. Ebenfalls am 26.6.2017 kündigte der Insolvenzverwalter den 45 beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich und betriebsbedingt zum 30.9.2017.
Ein betroffener Arbeitnehmer erhob fristgerecht Kündigungsschutzklage und machte u.a. geltend, der Insolvenzverwalter hätte über die Kündigung erst dann endgültig entscheiden und die Kündigungsschreiben entsprechend erst dann unterschreiben dürfen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei.
Das Landesarbeitsgericht (LAG Baden-Württemberg vom 21.8.2018 – 12 Sa 17/18) war den Argumenten des Klägers gefolgt und hatte die Kündigung des Insolvenzverwalters in der Berufungsinstanz für rechtswidrig erklärt.
II. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht (Aktenzeichen 6 AZR 459/18; BAG-Pressemitteilung Nr. 25/19 vom 13.6.2019) entschied als Revisionsinstanz, dass die nach § 17 Abs. 1 KSchG vorgeschriebene Massenentlassungsanzeige auch dann wirksam erstattet werden könne, wenn der Arbeitgeber, bzw. in diesem Fall der Insolvenzverwalter, zum Zeitpunkt ihres Zugangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen gewesen war. Kündigungen im Massenverfahren seien – bei Erfüllen der weiteren Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Anzeige der Agentur für Arbeit zugeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben gemäß § 130 Abs. 1 BGB zugeht. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie). Die Entscheidung des BAG führte zur Rückverweisung an das LAG Baden-Württemberg, das nun in einem neuen Verfahren aufklären muss, ob die Massenentlassungsanzeige den weiteren Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und der Insolvenzverwalter z.B. vor Ausspruch der Kündigung den Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG angehört hat.
III. Tipp für Arbeitnehmer und Betriebsrat
Schon nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber eine geplante Massenentlassung der Bundesagentur für Arbeit anzeigen, bevor die Kündigung dem Arbeitnehmer zugeht. Wenn der Arbeitgeber daher beispielsweise die Massenentlassungsanzeige und die Kündigungen am selben Tag in den Postlauf gibt, kann sich in Abhängigkeit von den Postlaufzeiten der Fall ergeben, dass Kündigungen unwirksam sind; nämlich die, die den Betroffenen schon zugehen, bevor die Bundesagentur für Arbeit die Massentlassungsanzeige erhalten hat. Es lohnt sich also in jedem Fall in Erfahrung zu bringen, wann der Zugang der Massentlassunganzeige bei der Bundesanstalt für Arbeit erfolgte.
Wichtig ist außerdem, dass der Arbeitgeber die weiteren Voraussetzungen der Massenentlassung sicherstellen muss. Anders als bei der reinen Anzeige ohne Konsultaionsverfahren im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit muss der Arbeitgeber nämlich den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG konsultieren, d.h. unterrichten und mit ihm beraten, bevor er sich endgültig entschließt die Kündigungen auszusprechen. So kann beispielsweise ein Kündigungsschreiben, das während der noch laufenden Beratungen mit dem Betriebsrat datiert ist, ein deutliches Indiz für eine rechtswidrige Kündigung geben.